Instrument zur Risikobewertung sexualisierter Gewalt im digitalen Umfeld

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Der Nationale Rat gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen tritt dafür ein, dass Kinder und Jugendliche im digitalen Raum besser vor sexualisierter Gewalt geschützt werden. Die gute Umsetzung des Kinderund Jugendmedienschutzes möchte der Nationale Rat durch den Schutz der persönlichen Integrität und durch Maßnahmen zur Bekämpfung von Interaktionsrisiken aufgreifen und unterstützen1. Aus diesem Grund wurde gemeinsam mit der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz und weiteren Mitgliedern der Arbeitsgruppe „Schutz vor Ausbeutung und internationale Kooperation“ des Nationalen Rates das vorliegende Instrument zur Risikobewertung sexualisierter Gewalt im digitalen Umfeld entwickelt. Das Instrument richtet sich sowohl an Anbietende und Entwickler*innen von Diensten und Anwendungen als auch an Menschen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten oder für sie Verantwortung tragen. Mit Hilfe des Instruments können Anbietende und Entwickler*innen die Risiken bewerten, die potenziell mit ihren Angeboten einhergehen. So werden sie in die Lage versetzt zu erkennen, wo geeignete Gegenmaßnahmen zur Risikominimierung zu etablieren sind. Pädagogisch tätigen Menschen kann das Instrument Aufschluss über die mögliche Anbahnung und den Verlauf sexualisierter Gewalthandlungen gegenüber Kindern und Jugendlichen geben. So können Gefährdungen, die mit dem digitalen Umfeld einhergehen, auch in klassischen Schutzkonzepten pädagogischer Einrichtungen berücksichtigt werden.

Das Instrument zur Risikobewertung basiert auf Gefährdungsphänomenen im Kontext sexualisierter Gewalt, die im Internet, insbesondere in Social Media und Messengerdiensten sowie in Online-Games auftreten können. Die Phänomene wurden aus dem Gefährdungsatlas der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz2 und der 25. Allgemeinen Bemerkung zu den Rechten der Kinder im digitalen Umfeld3 identifi ziert. Sie geben den Erkenntnisstand vom September 2022 wieder.

Die folgenden Grafiken zeichnen potenzielle Pfade der Eskalation sexualisierter Gewalt im digitalen Umfeld nach. Dabei wird eine Differenzierung der Phänomene in strafrechtlich relevante Handlungen oder Inhalte einerseits und Handlungen, Dienste und Anwendungen, die Gefährdungen und Risiken sexualisierter Gewalt ermöglichen oder begünstigen – im Ermittlungsbereich als sogenannte Enabler bezeichnet –, andererseits vorgenommen. Die dargestellten Verläufe der Eskalation sind beispielhaft und münden nicht zwangsläufi g in sexuelle Ausbeutung und Missbrauch als letzte Stufe der Pfade, sondern können jederzeit unterbrochen werden. Gegenmaßnahmen der Anbieter können an allen Eskalationsstufen ansetzen und je nachdem präventiv oder intervenierend wirken. Schutzkonzepte für die pädagogische Praxis können entsprechend Möglichkeiten präventiven Handelns aufzeigen.

Die Logik der Pfade soll hier beispielhaft an den Pfaden Nr. 1 – 3 verdeutlicht werden: An erster Stelle stehen Kleinanzeigenportale, durch welche fremde Personen (auch) mit Kindern und Jugendlichen in Kontakt treten können (Enabler – hellblau mit schwarzer Schrift). In Pfad 1 kommt es nach der Kontaktaufnahme zu nicht einvernehmlichem Cybersex/Onlinesex sowie in der Folge zu Cybergrooming und sexueller Belästigung, was schließlich zu sexueller Ausbeutung und zu Missbrauch führen kann. In Pfad 2 führt die Eskalation direkt von der Kontaktaufnahme zu sexueller Ausbeutung und Missbrauch. In Pfad 3 kommt es nach der Kontaktaufnahme zunächst zu Sexting ohne Einverständnis, woraus sexuelle Erpressung und schließlich wiederum sexuelle Ausbeutung und Missbrauch resultieren kann. Die nicht einvernehmliche Online-Kommunikation in sexueller Absicht und auch sexuelle Handlungen ohne Einverständnis aller Teilnehmenden stellen strafrechtlich relevante Handlungen dar (dunkelblau mit weißer Schrift).