Child Rights Impact Assessment (CRIA) im digitalen Raum: Ein Instrument für eine kinderrechtsorientiertere digitale Umwelt

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Obwohl Kinder und Jugendliche weltweit etwa ein Drittel der Internetnutzer*innen ausmachen, finden ihre Perspektiven in technologiebezogenen Politiken, Designprozessen und Entscheidungsstrukturen nach wie vor kaum Berücksichtigung. Besonders die mangelnde Repräsentation vielfältiger Stimmen von Kindern und Jugendlichen erschwert die Entwicklung digitaler Räume, die auf Inklusion, Gerechtigkeit und Teilhabe ausgerichtet sind. Das Instrument des Child Rights Impact Assessment (CRIA) kann hier einen wichtigen Beitrag leisten. Als praktisches Werkzeug ermöglicht es die vorausschauende (und retrospektive) Analyse geplanter (und bereits umgesetzter) Gesetze, Politiken und Programme hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche. Ziel ist es, Kinderrechte frühzeitig und systematisch in politische und administrative Entscheidungsprozesse zu integrieren und das Wohl des Kindes (Artikel 3 der UN-KRK) dabei nicht nur formal zu berücksichtigen, sondern praktisch, konkret und strukturell umzusetzen.  Eine zentrale Herausforderung besteht jedoch weiterhin darin, CRIAs im Technologiesektor bekannter zu machen und ihre konkrete Anwendung systematisch zu fördern. 

Die Allgemeine Bemerkung Nr. 25 über die Rechte der Kinder im digitalen Umfeld (2021) des UN-Ausschusses betont ausdrücklich die Bedeutung von Kinderrechten in der Bereitstellung, Regulierung, Gestaltung, Verwaltung und Nutzung digitaler Umgebungen (Abs. 12) und unterstreicht damit die Notwendigkeit eines kinderrechtsbasierten Ansatzes in der Gestaltung des digitalen Umfeldes. Laut UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes hilft ein solches Verfahren nicht nur dabei, Kinderrechte konsequent zu berücksichtigen, sondern auch, Risiken frühzeitig zu erkennen und präventiv gegenzusteuern.  

Bereits heute gibt es international wachsende Bestrebungen, den Schutz, die Befähigung und die Beteiligung von Kindern in digitalen Kontexten durch politische (legislative) und regulatorische Maßnahmen systematisch zu verankern. Dazu zählen unter anderem der DigitalServices Act der Europäischen Union, der spezifische Schutzmaßnahmen für Minderjährige in Online-Umgebungen vorsieht, die Safety by Design-Prinzipien der australischen Regierung, die auf eine proaktive Risikoprävention bei der Entwicklung digitaler Produkte abzielen, sowie das Programm der Afrikanischen Union zur Online-Sicherheit und -Stärkung von Kindern, die regionale Zusammenarbeit und kontextsensiblen Schutz fördert. Als Organisation der Vereinten Nationen, die mit der Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention (KRK) beauftragt ist, hat auch UNICEF einen bedeutenden Beitrag zur Entwicklung und Förderung von CRIA-Verfahren zur systematischen Berücksichtigung von Kinderrechten im digitalen Raum geleistet. Bereits frühzeitig initiierte UNICEF die Entwicklung entsprechender Toolkits und Best-Practice-Beispiele zur praktischen Umsetzung. Zu den ersten Ansätzen zählen das Child Online Safety Assessment” (COSA), sowie der speziell für Mobilfunkanbieter konzipierte UNICEF-Leitfaden zur Anwendung des Mobile Operators Child Rights Impact Assessment” (MO-CRIA) aus dem Jahr 2016. Mit der Digital Child Rights Impact Assessment Toolbox (D-CRIA Toolbox) bietet UNICEF darüber hinaus eine umfassende Orientierungshilfe für Unternehmen, um fundierte Risikoanalysen im Hinblick auf Kinderrechte im digitalen Umfeld durchzuführen.

Ein kürzlich von Sonia Livingstone und Kruakae Pothong veröffentlichter wissenschaftlicher Artikel, der von der 5Rights Foundation unterstützt wurde, untersucht das Potenzial und die bisherigen Umsetzungen von CRIAs zur Stärkung und zum Schutz der Kinderrechte in digitalen Umgebungen. Recherchen der Autorinnen zeigen, dass erste Unternehmen – insbesondere aus der Telekommunikations- und Mobilfunkbranche – begonnen haben, Child Rights Impact Assessments (CRIAs) in ihre Entwicklungs- und Geschäftsprozesse zu integrieren. Treiber dieser Entwicklung sind vor allem regulatorische Vorgaben sowie der zunehmende Druck durch zivilgesellschaftliche und politische Interessenvertretungen. Gleichzeitig betonen die Autorinnen, dass die Umsetzung von CRIA im digitalen Raum überwiegend sektoral erfolgt und insbesondere auf Social Media Plattformen sowie im Gaming-Bereich oft noch aussteht. Zudem variiert die Durchsetzung regional stark, was zu fragmentierten Schutzstandards führt. Darüber hinaus stellen sie fest, dass sich Kinderrechtsaspekte bislang hauptsächlich auf Online-Sicherheit und das Recht auf Privatsphäre konzentrieren, während eine ganzheitliche Berücksichtigung der Kinderrechte, die Neben den Schutzrechten auch die rechte auf Befähigung und Teilhabe umfasst, weitgehend fehlt. 

Durch qualitative Interviews mit digitalen Dienstleistern konnten weitere Hürden für eine effektive Umsetzung von CRIA im digitalen Kontext identifiziert werden. Dazu zählen insbesondere: 

  • die Wahrnehmung, CRIA seien bürokratisch, zeitintensiv oder es sei kompliziert, diese in die praktischen Prozesse des Unternehmens zu integrieren.
  • die Praxis, CRIA lediglich als formales Mittel zur nachträglichen Legitimierung bereits getroffener Entscheidungen zu verwenden statt als ein strategisches Instrument zur aktiven Steuerung von Unternehmensentscheidungen im Sinne der Kinderrechte;
  • sowie strukturelle Rahmenbedingungen wie das hohe Innovationstempo im Technologiesektor, wirtschaftlicher Druck und ein generell geringes Bewusstsein für Kinderrechtsfragen in vielen Unternehmen. 

Obwohl Regierungen gemäß Artikel 4 der KRK dazu verpflichtet sind, geeignete gesetzgeberische, verwaltungsmäßige und sonstige Maßnahmen zur Umsetzung von Kinderrechten zu ergreifen, wird die regulatorische Verantwortung im Technologiesektor häufig an private Akteure, also privatwirtschaftliche Unternehmen, delegiert. Ein CRIA kann dabei helfen, digitale Angebote kinderrechtsorientierter zu gestalten und Kinderrechte ganzheitlich zu berücksichtigen, anstatt – wie Recherchen zeigen – nur einzelne Aspekte isoliert zu betrachten. Die Integration von CRIA in unternehmerische Prozesse lässt sich außerdem sinnvoll mit bestehenden Risiko- und Wirkungsanalyseverfahren kombinieren, beispielsweise mit den Data Protection Impact Assessments (DPIAs), die gemäß der EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) vorgeschrieben sind.   

Um die Anwendung von CRIAs in der Entwicklung des digitalen Umfeldes weiter zu fördern und sichtbarer zu machen, haben Livingstone und Pothong (2023) ein Toolkitentwickelt, das konkrete Leitlinien zur Umsetzung von CRIAs im digitalen Unternehmenskontext bietet. 

Der vollständige Forschungsartikel von Livingstone & Pothong (2025) zum Child Rights Impact Assessment (CRIA) steht in englischer Sprache im Hintergrund zum Download bereit.