Die Frage, welchen Einfluss soziale Medien auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen haben, rückt zunehmend in den gesellschaftlichen Fokus. In ihrem im Juli 2025 veröffentlichten Diskussionspapier beschreibt die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina e.V.die gegenwärtige Lage als Teil einer „globalen Krise der psychischen Gesundheit“ bei jungen Menschen und formuliert konkrete Handlungsempfehlungen, um dieser Herausforderung zu begegnen.
Die Wissenschaftler*innen konstatieren anhand der Studienlage zur Nutzung digitaler Medien durch junge Menschen, dass Korrelationen zwar erkennbar seien, ein kausaler Zusammenhang mit psychischer Beeinträchtigung aber bislang nicht eindeutig belegt werden könne. In Anbetracht der bereits verfügbaren Evidenz und der möglichen Irreversibilität psychischer Schäden bei Kindern und Jugendlichen sprechen sie sich für die Anwendung des Vorsorgeprinzips (Precautionary Principle) aus, demzufolge präventive Maßnahmen gerechtfertigt sind, wenn es darum geht, möglichen negativen Entwicklungen rechtzeitig entgegenzuwirken. Zudem trage, so die Wissenschaftler*innen, der rasante technologische Fortschritt dazu bei, dass der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn mit der Innovationsgeschwindigkeit im Bereich digitaler Anwendungen nicht Schritt halten könne. Sie empfehlen dahingehend zeitnahe Forschung, um den möglichen Zusammenhang zwischen der Nutzung von sozialen Medien und psychischer Gesundheit – sowohl korrelativ als auch kausal – aufzuklären. Als Leitprinzip geben sie den politischen Entscheidungsträger*innen auf nationaler und EU-Ebene Art. 17 der UN-Kinderrechtskonvention mit auf den Weg. Demzufolge sollen Kinder vor potenziellen Gefahren geschützt, gleichzeitig aber ihre Teilhabe gewährleistet werden. Weil die Nutzung sozialer Medien auch positive Effekte haben kann, sollten junge Menschen zu einem souveränen, reflektierten und kompetenten Umgang damit befähigt werden.
Die Empfehlungen im Überblick:
Die Empfehlungen stehen in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander und verfolgen einen ganzheitlichen Ansatz, der Maßnahmen der Regulierung, für Bildungseinrichtungen, zur gesellschaftlichen Aufklärung und zur Stärkung unabhängiger Forschung umfasst.
Nutzungsverbote und Altersgrenzen auf digitalen Plattformen: Für Kinder unter 13 Jahren empfiehlt das Leopoldina-Diskussionspapier, die Nutzung sozialer Medien grundsätzlich nicht zu gestatten. Für Jugendliche zwischen 13 und 16 Jahren soll die Einrichtung eines Nutzerkontos mit Zustimmung der Eltern ermöglicht werden. Dabei sollte in jedem Fall sichergestellt sein, dass das vorgeschriebene Mindestalter erreicht ist und eine elterliche Zustimmung vorliegt.
Elterliche Begleitung bei jüngeren Jugendlichen: Für die Altersgruppe der 13- bis 15-Jährigen wird eine elterliche Nutzungsbegleitung bei sozialen Medien empfohlen. Ziel ist es, die sich entwickelnden Fähigkeiten der Jugendlichen zu unterstützen und ihnen schrittweise die selbstbestimmte Teilhabe zu ermöglichen.
Altersfeststellung: Zur Umsetzung der vorgeschlagenen Altersgrenzen soll eine digitale Infrastruktur zur Altersverifikation vorgehalten werden. Dafür ist eine „zuverlässige, sichere und datenschutzfreundliche technische Lösung“ bereitzustellen. Eine zentrale Rolle soll dabei die sogenannte European Digital Identity Wallet (EUDI-Wallet) spielen, welche ab 2026 in allen EU-Mitgliedstaaten verpflichtend einzuführen ist.
Altersgerechte Gestaltung digitaler Plattformen: Soziale Medien sollen für Jugendliche zwischen 13 und 17 Jahren altersgerecht gestaltet sein. Dazu gehört insbesondere die Reduzierung des Funktionsumfangs für Konten von Minderjährigen, beispielsweise im Hinblick auf algorithmisch gesteuerte Inhalte und Empfehlungen, personalisierte Werbung oder Kontakt- und Interaktionsmöglichkeiten. Hierbei referenzieren die Wissenschaftler*innen auch auf die im Juli 2025 veröffentlichten Leitlinien gemäß Artikel 28 (4) des Digital Services Act der Europäischen Kommission zum Schutz von Minderjährigen im digitalen Raum.
Risikoanalysen neuer Features und Funktionen: Vor der Einführung neuer Funktionen sollten Plattformbetreiber eine empirisch fundierte Risikoanalyse durchführen und die Unbedenklichkeit für junge Nutzer*innen nachvollziehbar belegen.
Nutzungsverbot für Smartphones: Die Nutzung von Smartphones in Bildungseinrichtungen sollte Kinder und Jugendlichen bis einschließlich der 10. Jahrgangsstufe grundsätzlich untersagt werden.
Vermittlung von Medienkompetenz: In Bildungseinrichtungen wie Kindertageseinrichtungen und Schulen in Deutschland soll ein fächerübergreifenden digitaler „Bildungskanon” verankert und fächerübergreifend unterrichtet werden, der zentrale Aspekte des digitalen Lebens vermittelt. Ziel ist es, Kindern und Jugendlichen einen souveränen und reflektierten Umgang mit sozialen Medien zu ermöglichen und ein fundiertes Verständnis für die Chancen und Risiken der Digitalisierung in unserer Gesellschaft zu fördern.
Aufklärung und Sensibilisierung: Es wird eine Public-Health-Kampagne empfohlen, um Kinder, Jugendliche und Eltern über die Chancen, Risiken und Schutzmöglichkeiten im Umgang mit sozialen Medien aufzuklären. Die Kampagne sollte Empfehlungen geben, wie soziale Medien sinnvoll genutzt werden können sowie die kurz- und langfristigen Folgen einer problematischen Nutzung in den Fokus rücken. Klare, alltagstaugliche und altersgerechte Regeln im Umgang mit sozialen Medien sollten Eltern, Kindern sowie Jugendlichen gleichermaßen Orientierung bieten.
Kontextualisierung der Risiken: Abschließend betonen die Wissenschaftler*innen, dass die in dem Diskussionspapier dargestellten Risiken sozialer Medien für junge Menschen nicht isoliert betrachtet werden dürfen, sondern vielmehr im Kontext tiefgreifender ökonomischer, technologischer und geopolitischer Umbrüche zu sehen sind, welche Einfluss haben auf das Aufwachsen und Leben von Kindern und Jugendlichen. Sie fordern, den Schutz junger Menschen einzubetten in eine deutsche und europäische Strategie für digitale Resilienz und digitale Souveränität, die den Erhalt der politischen und persönlichen Handlungsfähigkeit im digitalen Zeitalter gewährleistet.
Die Publikation der Leopoldina steht im Bereich Hintergrund zur Verfügung und kann auch hier aufgerufen werden.