Digitale Gesundheitskompetenzen fördern durch Patinnen und Paten

Für die einen gehören Online-Recherchen zu Gesundheitsthemen, Fitness-Apps und Smartwatches längst zum Alltag. Für viele andere sind digitale Gesundheitsanwendungen und -dienste jedoch unbekannte Welten. Laut Eurostat haben im Jahr 2021 zwar 52 Prozent der EU-Bürger online nach Gesundheitsinformationen gesucht, konkretere Anwendungen wie Online-Terminvereinbarungen oder digitale Patientenakten sind jedoch weniger verbreitet. Die Europäische Kommission hat bereits 2012 geringes Wissen, mangelndes Vertrauen und fehlende digitale Kompetenzen als wesentliche Hindernisse für die Nutzung digitaler Gesundheitsanwendungen und -dienste identifiziert.

Hier setzt das Erasmus+ Projekt „E-HEALth Literacy“, kurz HEAL, an: Es zielt darauf ab, dass Bürger*innen die Vorteile digitaler Gesundheitsanwendungen kennenlernen und gleichzeitig souveräne Eigentümer*innen ihrer Gesundheitsdaten werden. Erreicht werden sollte dies durch die Qualifizierung von Multiplikator*innen zu „Digitalen Gesundheitspatinnen und -Paten“, die ihr Wissen an weniger versierte Bürger*innen weitergeben.

Dafür leisteten die Projektpartner aus Deutschland, der Schweiz, Slowenien, Litauen und Griechenland zunächst Vorarbeit: Unter anderem führten sie nationale Fokusgruppeninterviews durch, um die unterschiedlichen Gegebenheiten in den Ländern zu erforschen. Auf dieser Grundlage wurde dann ein Trainingspaket entwickelt, das differenziert an die Bedürfnisse der Partnerländer angepasst wurde.

Fünf Workshop-Module zur Qualifizierung „Digitale Gesundheitspatinnen und –Paten“

Die Fortbildung umfasste fünf Präsenzworkshops mit einer Gesamtdauer von 20 Stunden. Mit etwas zeitlichem Abstand fand ein Online-Nachbereitungstreffen statt, in dem die Erfahrungen reflektiert wurden. An den ersten Qualifizierungsworkshops in Deutschland nahmen haupt- und ehrenamtliche Nachbarschaftsberater*innen, Sozialarbeiter*innen und Mitglieder eines kommunalen Seniorenbeirats teil. Sie alle arbeiten mit Erwachsenen und haben vielfältige Möglichkeiten, über digitale Gesundheitsdienste und -Anwendungen aufzuklären.

Modul 1: "Suche und Auswahl von Gesundheitsinformationen" als Einstieg in das Thema

Gestartet wurde mit dem Modul „Suche und Auswahl von Gesundheitsinformationen“. Neben Tipps zur gezielten Nutzung von Suchmaschinen war die Auswahl von Suchergebnissen ein Schwerpunktthema. Da die Teilnehmenden erfahrene und reflektierte Internetnutzer*innen waren, fiel es ihnen leicht, qualitativ hochwertige Ergebnisse auszuwählen. Es zeigte sich jedoch, dass unterschiedliche Informationsformate ausgewählt wurden: Einige bevorzugten Informationen in Videoform, andere in Textform. Ganz so, wie es vermutlich auch in der Beratungspraxis der „Digitalen Gesundheitspatinnen und -Paten“ sein wird. Weitere Inhalte waren unter anderem die Risiken von Fehlinformationen, die durch Social Media eine rasante Verbreitung finden. Aber auch die Chancen sozialer Netzwerke für die Verbreitung seriöser Gesundheitsinformationen wurden diskutiert.

Modul 2: Leichter als gedacht - Datenschutz, DSGVO und elektronische Patientenakte

Das zweite Modul hatte es in sich: Datenschutz, die Bedeutung der DSGVO und die derzeit in Deutschland viel diskutierte elektronische Patientenakte (ePA). Die Projektpartner hatten sich bewusst dafür entschieden, dieses komplexe Thema frühzeitig zu behandeln, da datenschutzrechtliche Fragen in allen folgenden Modulen eine Rolle spielen. Dies war auch ein Grund dafür, warum dieses Modul einfacher war als von einigen Teilnehmenden befürchtet: Es musste nicht alles im Detail geklärt werden, sondern es wurde gemeinsam eine solide Basis geschaffen, auf der später aufgebaut werden konnte. Hilfreich war es auch, den Bezug zur Praxis herzustellen, indem die Teilnehmenden fiktive Personen (Personas) entwarfen. Hier wurde untersucht, welche Gesundheitsdaten diese Personen in welchen Kontexten von sich preisgeben. Das Erfinden von Personen und deren Gesundheitsverhalten war nicht nur inhaltlich zielführend, sondern hat auch viel Spaß gemacht.

Dennoch: Wie bei vielen Menschen hat die DSGVO auch bei den Teilnehmenden des Workshops einen schlechten Ruf. Einige äußerten ihr Unverständnis darüber, dass sie ständig „irgendwas mit Datenschutz“ unterschreiben müssen, obwohl die Texte unverständlich und zeitraubend lang sind. Das Datenschutzmodul konnte hier natürlich keine Abhilfe schaffen. Aber es wurde über die Hintergründe aufgeklärt. Unbekannt war den meisten Teilnehmenden, welche Schutzrechte für sie aus der DSGVO erwachsen und wie man diese einfordern kann. Glücklicherweise erlaubte es der Zeitplan des Moduls, darüber zu diskutieren, was in der politischen Kommunikation schieflaufen kann, wenn ein Schutzgesetz von der Bevölkerung als Gängelungsinstrument wahrgenommen wird.

Großen Diskussionsbedarf gab es auch hinsichtlich der Einführung und den Möglichkeiten der elektronischen Patientenakte in Deutschland. Ob diese als sinnvoll empfunden wird, war individuell sehr unterschiedlich. Während es einige Teilnehmende gut fanden, alle Daten an einem Ort zu haben und ihre Daten anonymisiert der Forschung zur Verfügung zu stellen, hatten andere eine ablehnende Haltung. Dies wird Situationen und Diskussionen entsprechen, die in der Vermittlungspraxis der Gesundheitspatinnen und -paten auftreten und war daher nicht nur eine interessante Debatte, sondern vor allem eine sehr gute Übung.

Modul 3: Endlich Apps! Einführung in eHealth-Anwendungen und Dienste

Das dritte Modul hatte den von vielen Teilnehmenden erwarteten Inhalt: Es ging um Gesundheits- und Lifestyle-Apps und deren Funktionsweise. Die Teilnehmenden diskutierten ihr individuelle Verständnis von Gesundheit und Lifestyle, tauschten sich über die von ihnen genutzten Apps aus und kategorisierten diese. Gut bekannt waren beispielsweise Erinnerungs-Apps (Wasser trinken, Medikamente einnehmen...), Entspannungs-Apps (Meditation, Atmung...) und Fitness-Apps. Aber auch Apps, die helfen, den Tagesablauf zu strukturieren oder Ernährungs- und Diät-Apps werden genutzt. Neu war für viele Teilnehmende, dass Apps, beispielsweise zur Rauchentwöhnung, von Ärzt*innen verschrieben und von Krankenkassen bezahlt werden können.

Auch hier halfen Personas, den Bezug zur Praxis der zukünftigen Gesundheitspatinnen und Paten herzustellen. Sie ermöglichten die Zuordnung der Anwendungskategorien zu unterschiedlichen Zielgruppen und Bedürfnissen. 

Die eHealth-Anwendungen und -Dienste wurden zudem durch die mittlerweile vielfältigen Möglichkeiten von Wearables ergänzt. Auch die Nutzung, Chancen und Risiken von eRezepten und Online-Apotheken fanden in diesem Modul ihren Platz.

Modul 4: Wohin geht die Reise?  Erwachsene bei der Nutzung digitaler Gesundheitsdienste unterstützen

Im vorletzten Modul lautete die Ausgangsfrage „Wohin geht die Reise für die digitalen Gesundheitspatinnen und -Paten?“. Mit anderen Worten: Wie geht es nach den Workshops weiter? Folgende Möglichkeiten bieten sich vor allem an: Eigene Workshops / Schulungen zum Thema entwickeln, Wissen und Erfahrungen in Vorträgen weitergeben, Informationen zum Thema verfügbar machen oder Nutzer*innen im Hinblick auf E-Health-Anwendungen beraten.

Für die Teilnehmer*innen der Pilotworkshops waren Beratungsszenarien und das Kuratieren und Bereitstellen von Informationen die wichtigsten Optionen. Ein Schwerpunkt lag daher auf der Analyse und Gestaltung von überwiegend informellen Beratungssettings. So lässt sich das Thema digitale Gesundheitsanwendungen beispielsweise in offenen Begegnungsangeboten oder Smartphone-Treffs für Senior*innen in einer zugewandten Atmosphäre ansprechen.

Um Informationen nicht nur im geografischen Raum zugänglich zu machen, wurde unter anderem in die Nutzung digitaler Pinnwänden wie Padlet oder TaskCards eingeführt. Diese bieten nicht nur die Möglichkeit, Links zur Verfügung zu stellen, sondern auch eingescannte Flyer und Grafiken hochzuladen. Die Nutzer*innen können via Link oder QR-Code auf die digitale Informationssammlung zugreifen.

Modul 5: Kommunikation und Verbindung mit medizinischem Fachpersonal und Ausblick

Das Abschlussmodul hatte zwei Schwerpunkte: Telemedizin und einen Überblick über Technologien, die im Gesundheitswesen eine immer größere Rolle spielen.

Im Bereich Telemedizin ging es darum, dass nicht nur die ortsunabhängige Kommunikation zwischen Patient*innen und Ärzt*innen ermöglicht wird, sondern auch Begleitpersonen, Pflegepersonal und Notfalldienste in die digitale Interaktion einbezogen werden können. Hier eröffnen sich beispielsweise Chancen für berufstätige Angehörige, die Patient*innen-Begleitung besser mit ihren beruflichen Pflichten in Einklang zu bringen. Weitere Themen waren die Möglichkeiten der Online-Terminvereinbarung sowie die Funktion und Nutzung von ChatBots, die beispielsweise von Krankenkassen zur Beantwortung von Fragen eingesetzt werden.

Im zweiten Teil dieses Moduls gab es einen Überblick über Technologien, die im Gesundheitswesen eine immer größere Rolle spielen. Dazu gehören Virtual und Augmented Reality, das Internet der Dinge, künstliche Intelligenz, Sensorik und 3D-Druck. Dabei wurden immer wieder Brücken zu den Inhalten der vorangegangenen Module geschlagen, so dass viele Themen aus einem anderen Blickwinkel wieder aufgegriffen wurden. So wurde die fünfteilige Workshop-Reihe thematisch abgerundet.

Reflexion, Analyse und Fazit: Online-Nachbereitungstreffen

Etwa zehn Wochen nach den Qualifizierungsworkshops fanden Nachbereitungstreffen statt, bei denen die Teilnehmenden von ihren Erfahrungen berichteten. Sie diskutierten, wo und wie sie ihr neu erworbenes Wissen einsetzen konnten und wie sie die Situationen erlebt hatten. So wurden beispielsweise digitale Gesundheitsanwendungen in einem „Smartcafé“ angesprochen, einem Treffpunkt für Senior*innen, bei dem sie Unterstützung bei der Nutzung von Smartphones und Tablets erhalten. In einem offenen Begegnungsangebot für Senior*innen konnte über den Nutzen von Notfallkontakten und Notfallpass auf dem Smartphone aufgeklärt werden. Auch innerhalb der Einrichtungen der Nachbarschaftshilfe wurden Informationen und Materialien aus den Workshops an haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter*innen weitergegeben, so dass das Projekt eine Verbreitung über die qualifizierten Personen hinaus fand.

Gemeinsames Fazit der Gesundheitspatinnen und -Paten war, dass die Inhalte der Qualifizierungen den Bedürfnissen sehr unterschiedlicher Zielgruppen entsprechen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass für einen souveränen Umgang mit digitalen Gesundheitsanwendungen fundierte Mediennutzungskenntnisse notwendig sind. In diesem Bereich ist die Entwicklung und Bereitstellung von Lernangeboten auf unterschiedlichen Niveaustufen nach wie vor notwendig.

Einigkeit bestand auch darin, dass für hochaltrige Menschen vor allem möglichst niedrigschwellige Eins-zu-eins-Beratungssituationen hilfreich sind, für viele andere Menschen aber auch Gruppenveranstaltungen als sinnvoll erachtet werden. Auch die gezielte Zusammenstellung von Informationen für unterschiedliche Bedarfe wurde als Aufgabe von Gesundheitspatinnen und -paten gesehen. Denn gerade die Fülle an Material zu eHealth-Themen erschwert es, vollständige, zielgruppengerechte und neutrale Informationen zu finden.

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