Foto: UBSKM / ©Barbara Dietl.
Immer mehr Kinder und Jugendliche sind im Internet sexualisierter Gewalt ausgesetzt. Die aktuellen Zahlen aus der Polizeilichen Kriminalstatistik 2024 (PKS) sowie neue Auswertungen durch die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) und jugendschutz.net zeigen: Das Ausmaß und die Formen digitaler sexualisierter Gewalt nehmen weiterhin zu.
Aktuelle Studien aus Deutschland zeigen, dass jede*r dritte Jugendliche im Alter zwischen 12 und 19 Jahren bereits sexuelle Belästigung im Internet erlebt hat (JIM Studie 2023). Diese Daten werden auch durch den kürzlich veröffentlichten Bericht von jugendschutz.net gestützt. Demnach wurden im Jahr 2024 über 17.600 Verstöße im Netz dokumentiert. Rund 90 Prozent davon stehen im Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt gegen Minderjährige. Im Vergleich zu den Vorjahren hat sich diese Zahl mehr als verdreifacht.
Laut der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) für das Jahr 2024 wurden in Deutschland 42.854 Fälle von Darstellungen sexualisierter Gewalt an Kindern erfasst. Dies ist ein leichter Rückgang im Vergleich zu 2023, dennoch bleibt die Zahl auf einem hohen Niveau. Besonders auffällig ist, dass immer mehr Kinder und Jugendliche selbst kinderpornografische oder jugendpornografische Inhalte besitzen oder verbreiten – etwa im Rahmen von Gruppenchats oder als Teil missbräuchlicher Challenges. Gleichzeitig nutzen viele Jugendliche digitale Räume, um ihre Sexualität zu entdecken oder auszudrücken. Laut Artikel 64 der Allgemeine Bemerkung Nr. 25 (2021) haben Kinder ein Recht, ihre Identität (auch sexuell) im digitalen Raum zu entfalten, müssen dabei aber vor sexualisierter Gewalt geschützt werden. Es braucht deshalb Aufklärung, die beides ernst nimmt: Schutz und Selbstbestimmung.
Internationale Perspektive: Ein globales Problem
Auch weltweit zeigt sich eine Vermehrung der Fälle: So stieg laut der Europäischen Kommission die Zahl der Meldungen zu sexualisierter Gewalt gegen Kinder im Netz von einer Million im Jahr 2010 auf fast 36 Millionen im Jahr 2023.
Eine globale Meta-Analyse von Childlight aus dem Jahr 2024 zeigt, dass eines von acht Kindern weltweit bereits Opfer von Online-Grooming oder der nicht einvernehmlichen Verbreitung intimer Bilder geworden ist. Auch internationale Meldestellen wie die Internet Watch Foundation (IWF), das National Centre for Missing & Exploited Children (NCMEC) und Child Helpline International dokumentieren einen kontinuierlichen Anstieg der Fälle.
Sexualisierte Gewalt im Netz hat viele Ausprägungen. Dazu zählen Cybergrooming, womit die gezielte Kontaktaufnahme durch Erwachsene mit sexuellem Interesse an Kindern gemeint ist, nicht einvernehmliches Sexting und Erpressung mit intimen Bildern, die Verbreitung von Nacktaufnahmen oder Abbildungen sexualisierter Gewalt ungewollte Konfrontation mit Pornografie oder sexuellen Inhalten, Aufforderung zur Selbstinszenierung vor der Kamera, sowie, sexuell belästigende Kommunikation insbesondere in sozialen Netzwerken. Auch Künstliche Intelligenz kommt dabei immer häufiger zum Einsatz, etwa zur Erstellung von sexualisierten Deepfakes Minderjähriger. Wie kürzlich veröffentlichte Daten der Internet Watch Foundation (IWF) zeigen: Demnach hat sich die Zahl der bestätigten Berichte über KI-generierte kinderpornografische Darstellungen innerhalb der ersten sechs Monate des Jahres 2025 (Januar bis Juni) um 400 Prozent erhöht.
Die Begriffsverwendung rund um "sexualisierte Gewalt gegen Kinder im Netz" ist jedoch nicht einheitlich. International wird häufig von OCSAE gesprochen (Online Child Sexual Abuse and Exploitation). Während manche Organisationen den Fokus dabei eng auf CSAM (Child Sexual Abuse Material) legen – also auf die Verbreitung und den Besitz von Abbildung sexualisierter Gewalt –, fassen andere Definitionen den Begriff weiter. Diese begrifflichen Unterschiede erschweren zwar den internationalen Vergleich, machen aber auch die Vielfalt und Komplexität des Phänomens deutlich. ECPAT International hat mit den sogenannten „Luxembourg Guidelines” einen Versuch unternommen, die Begrifflichkeiten rund um sexualisierte Gewalt zu vereinheitlichen. Diese Guidelines wurden im Frühjahr dieses Jahres überarbeitet.
Perspektiven & Lösungen
Die vorliegenden Daten zeigen deutlich: Die Gefahren sexualisierter Gewalt im Netz nehmen rasant zu und Täter*innen agieren zunehmend professionell und technologiegestützt. Umso dringlicher ist es, dass sich verschiedene Akteure auf nationaler wie internationaler Ebene diesem Problem konsequent widmen. Kinderschutz im digitalen Raum erfordert dabei immer stärker interdisziplinäre Zusammenarbeit. So betont etwa das internationale Netzwerk INHOPE die Bedeutung der Verbindung von Kinderschutz und Finanzermittlungen: Es geht darum, Überschneidungen zwischen Darstellung sexualisierter Gewalt an Kindern (CSAM) und Finanzströmen zu erkennen, Lücken im bestehenden System zu schließen sowie wirksame Aufdeckungs- und Kontrollstrategien zu entwickeln.
Mehrere Unternehmen und Organisationen stellen technische Lösungen bereit, um entsprechendes Material schnellstmöglich aus dem Netz zu entfernen. Ein Beispiel ist das Tool „Take It Down“ der US-amerikanischen Organisation NCMEC. Dieses hilft Betroffenen, intime Bilder und Videos, die ohne ihre Zustimmung veröffentlicht wurden, aus dem Internet zu entfernen. Auch in Deutschland gibt es Anlaufstellen, die Unterstützung bei der Entfernung von Abbildungen sexualisierter Gewalt bieten.
Wichtig ist auch in die Prävention zu investieren und junge Menschen vor möglichen Taten zu schützen. Um dies zu ermöglichen sollten soziale Medien und Plattformbetreiber einen kinderrechtsbasierten Ansatz verfolgen. Kinderrechte auf Teilhabe, auf Privatsphäre oder auch auf besonderen Schutz gelten auch im digitalen Raum, wie der UN-Kinderrechtsausschuss mit der Allgemeinen Bemerkung Nr. 25 2021 dargelegt hat. Diese grundlegenden Rechte müssen berücksichtigt und miteinander in Einklang gebracht werden.
Veranstaltungshinweis:
Am 16. September 2025 findet die Fachveranstaltung "Digitale Grenzverletzungen – Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen erkennen und bekämpfen" statt, bei der auch das Thema sexualisierte Gewalt gegen Kinder im Netz erörtert wird.
Weitere Informationen finden Sie in unserem Terminkalender.